02.09.2002

Internationale Papierkunstausstellung im Marstall, Ahrensburg, eröffnet

Vor zahlreich erschienenem Publikum konnte der kulturelle Geschäftsführer der Kulturstiftung der Sparkasse Stormarn, Kreiskulturreferent Dr. Johannes Spallek, die 5. Teilausstellung der internationalen Papierkunstveranstaltung „PaperArt 2002“ im Marstall von Schloss Ahrensburg eröffnen.

Nach der Begrüßung durch Herbert Woodtli, Mitglied im Vorstand des Fördervereins Kulturzentrum Marstall e.V., und dem ausdrücklichen Dank an die vielen Sponsoren sowie die aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der fünf Ausstellungsstationen wurden die in der Ausstellung präsentierten Künstlerinnen und Künstler vorgestellt. Zu sehen sind Arbeiten von Künstlerpersönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen und von sehr unterschiedlicher künstlerischer Herkunft.

Dabei ist Sigrid Schraube aus Schöneck mit der Bodeninstallation „VANITY“, entstanden 1998. Im Vorgespräch beim Aufbau sagte die Künstlerin zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit, dass sie versucht hatte, alle Sonette von William Shakespeare zu lesen. Sie stellte fest, dass sie darüber abends häufig nach dem dritten oder fünften Sonett einschlief. Sie änderte darauf ihre Vorgehensweise und machte sich an die Arbeit, alle 145 Sonette von Shakespeare zu schreiben, abzuschreiben. So finden sich im Marstall auf dem Boden 145 einzelne Stücke auf
Transparentpapier und Reispapier geschrieben. Als Bildträger dienen einfache Union Briketts. Wie in den großen Liebesgedichten von Shakespeare Gefühl und Momente der Vergänglichkeit, Sehnsucht und ein Sich-Verzehren, ein Sich-Auflösen und ein selbstloses Eingehen zum Ausdruck kommen, entsprechen für Sigrid Schraube das Material Kohle, die verbrennt, und das Papier, das gegessen also verzehrt werden kann, der Vergänglichkeit. Es geht ihr um die Ambivalenz von gegenwärtigem Empfinden und darin enthaltener Vergänglichkeit. Wie im Barock das Vanitas-Motiv ein Grundton in der Bildenden Kunst ist, so durchzieht auch dieser Gedanke die Arbeiten von Sigrid Schraube. Dies gilt auch für ihre zweite Bodeninstallation „Kalevala“, entstanden 2001. Während eines Aufenthalts in Finnland versuchte Sigrid Schraube die finnische Sprache zu erlernen. Zumindest in Grundzügen und in Anfängen. Sie spürte schnell die tiefe Verankerung und Liebe der Finnen zu ihrem Volksepos „Kalevala“. Es reizte sie, sich diesem Werk zu nähern, wieder in der Art wie bei den Shakespeare-Sonetten, indem sie das Werk eigenhändig und selbst schrieb. Dazu schuf sie Papiere aus Torfgras und nahm Transparentpapier. Diese Papiere wickelte sie um 50 finnische Torfbriketts. Auch diese sind für sie wieder ein Symbol für Vergänglichkeit und Wandel.

Hiltrud Schäfer, die sich seit 1988 intensiv mit der Papierarbeit beschäftigt, hat eine Rauminstallation, einen Fotofries, schwarz-weiß, an die Wände installiert. Drei Monate lang sammelte sie Fotos von Gewalt und militärischen Auseinandersetzungen aus den Zeitungen, die uns alle täglich erreichen. Diesen Gewaltdokumenten setzt sie an die Wand gelehnt krückenhafte Objekte von amorphen Gestalten entgegen, die an Invalide und Prothesen tragende Körper denken lassen. Inspiriert wurde sie zu dieser Arbeit in einer ungarischen Kirche, wo als Dankvotive für Heilungen eine riesige Menge von Prothesen, Krücken und Dankesbildern angehäuft war. Die Arbeit besteht aus handgeschöpften Papieren aus Pflanzenfasern, aus Schilfgras mit Pigmenten versetzt. Ihr Thema sind „Verletzte Menschen“. Von diesem Thema handelt auch das Objekt des Januskörpers auf einem Fahrgestell. Es ist die Abformung von einem Modell, jeweils seine Vorderseite, die ebenfalls aus Schilfgras entstanden ist. Die eine Seite ist gewachst und wirkt wie Haut, die andere faserig, wie medizinisch präpariert oder wie organisch erstarrt. Durchlöchert, verletzlich und verletzt. Ein weiteres Bild von Zartheit und Verletzbarkeit.

Birgit Särmö-Woll zeigt eine große kreisrunde Arbeit, die wie eine Radblüte wirkt, und auf dem Boden zwei senkrechte stelengleiche Seidenpapierarbeiten. Es sind weiße, Stille zulassende Arbeiten, wo Gebrauchsspuren zu erkennen sind und gleichzeitig auch Fundstücke aus Holz. Thema ist das „Werden, Wandeln, Vergehen“, sagt die Künstlerin selbst. Die Arbeit sucht in der Stille den nach innen gerichteten Blick, die innere Schau und fordert die Betrachterinnen und Betrachter ebenfalls dazu auf.

Einen verwandten Wesensgrundzug hat die Arbeit der Koreanerin Jiyon Song, die 1964 in Seoul geboren wurde. Seit 1999 lebt sie in Europa, zunächst in Münster und später auch in Rom. Ihre kreisrunde Arbeit „Ohne Titel“, aus koreanischem handgemachten Papier, ist eine sehr asiatische, meditative in sich ruhende, die die Stille des „inneren Blickes und des inneren Hörens“ herausfordern will. Jiyon Song hat im Katalog selbst zu ihren Arbeiten das Wort formuliert: „Während ich die Esskastanien in meinem Garten sammele, höre ich sie vom Baum auf die Erde herunterfallen. Dieses Geräusch geht mir ins Herz rein. Wenn ich einen Raum betrete, lerne ich den Raum, die Raumgeister und die dortigen Kräfte der Mutter Erde kennen. Ich bleibe im Raum und meditiere. Dann weiß ich, was ich für den Raum tun soll, um den Menschen, die dort verweilen, gute heilende Energie zu verschaffen. Dasselbe gilt auch im Freien. Die ganze Installation wird zu einem Gebet.“

Aus einem ganz anderen Kulturkreis und einer anderen sozialen und künstlerischen Prägung kommt Sonia Jakuschewa. 1961 in Moskau geboren, lebt und arbeitet sie seit 1983 als freischaffende Künstlerin in Hamburg. Sie studierte zunächst in Moskau Malerei an der Kunsthochschule „Surikow“. Sie zeigt Papiercollagen auf Leinwand mit dem Titel „Moskau ist so weit“. Sie hat Erlebnisse und Emotionen, also biografische Momente, aus dem eigenen Erleben übertragen in ihre künstlerische Arbeit. Konkrete Ausgangspunkte sind die Liebesbriefe, die ihr Mann und sie sich geschrieben haben in der Zeit, als sie noch in Moskau lebte und er hier in Hamburg. Ihre Arbeit thematisiert das Thema „Wandel und Zeitenfluss“ unter dem Aspekt „Erinnern, Festhalten oder Vergessen“. Dieser Grundton spricht auch aus der zweiten Arbeit, die den Titel trägt „Lob des Vergessens“ und „Es Vedra I und III“, entstanden 2000.

Hier greift die Künstlerin wiederum sprachliche poetische Momente auf. Konkret geht es um die literarische Arbeit der Dichterin Marina Zwetajewa. Als Stilmittel verwendet sie ebenfalls eine Collage in Verbindung von Textpassagen. Beispielhaft taucht eine vulkanartige Insel auf, ein Berg im Meer. Als poetisches Moment steht er für die menschliche Existenz, für das Hineingeworfensein in die Welt, die man sich nicht aussuchen kann, die bedrohlich, schwierig ist, der man nicht entkommt, die man zu lieben hat. So sinngemäß ein von der Dichterin Zwetajewa entnommenes Zitat.

Werner Henkel aus Bremen ist mit getrockneten Blättern, die er scherenschnitthaft zu Silhouetten geschnitten hat, vertreten. Es handelt sich um Schnitte aus organischen Blättern, Graphit auf Papier. Er verwendet aber auch die Pestwurz oder Maisblätter. Aus dem Liniengerüst, den Adern der Naturformen, entdeckt und entwickelt er seine künstlerischen Formen.

Die in Shanghai geborene Eva Yeh, die heute in Gießen lebt, hat zunächst ihre künstlerische Ausbildung in Hongkong erfahren, woran sie 1966 bis 1967 eine Ausbildung in Paris und in Nizza anschloss. Sie selbst formuliert zu ihrer Arbeit: „Das Malen hatte meinen Blick für Farbe und Kontrast geschärft. Die Lebenserfahrung ließ auch die Gedanken reifen und durch Arbeit mit diversen Materialien verbesserten sich meine praktischen Fähigkeiten. Das wies mir den Weg vom Zwei- zum Dreidimensionalen. Der Reiz von Papier wurde allmählich
stärker. „Spielen“ mit Papier ließ mich sein Geheimnis, seine Poesie erkennen.“ Sie steuert zur Ausstellung drei Arbeiten bei. Eine trägt den Titel eines chinesischen Sprichwortes:

„Wer sein Herz dem Ehrgeiz öffnet, verschließt es der Ruhe“. Als Grundmaterial dient gebrauchtes Packpapier und Karton. Indem die Künstlerin das scheinbar wertlose Papier in ihrem neuen Objekt zusammenbaut, versucht sie es mit neuem Leben zu erwecken. Hierbei spielt das Licht eine wichtige Rolle. Je nach Charakter und Stärke, nach Richtung und wechselnden Tageszeiten bestimmt es mit den Charakter des Objektes. Gleichzeitig sei ihr wichtig, zu zeigen, wie trotz scheinbarer Gelassenheit unter der Oberfläche eine starke Emotion fließen kann.

„Die Ausstellung im Marstall zeigt ein breites Spektrum der Papierkunst“, so resümierend Kreiskulturreferent Dr. Johannes Spallek. „Die Herkunftsorte und die Lebensläufe der einzelnen Künstlerpersönlichkeiten sind sehr unterschiedlich und prägen die Wesenszüge der künstlerischen Arbeiten entscheidend mit. So wird der Marstall wieder einmal zu einem ganz eigenen neuen Erlebnisraum“.

Die Ausstellung im Marstall ist, wie alle anderen der PaperArt 2002, bis zum 22. September 2002 zu sehen.

Öffnungszeiten des Marstalls: Mittwoch bis Freitag, 15.00 bis 19.00 Uhr
Samstag, 14.00 bis 17.00 Uhr
Sonntag, 11.00 bis 18.00 Uhr

Der Katalog zur Ausstellung, der jeweils auf einer Doppelseite die künstlerische Arbeit eines jeden Künstlers und einer jeden Künstlerin dokumentiert, ist in der Ausstellung zum Preis von 18 € erhältlich